Natürlich leben

Ein urbaner Holzbau
(Fertigstellung 2015)

Innovationen sind nicht immer dort zu finden, wo sie zu erwarten wären – in den Medien, auf Messen oder in den Köpfen visionärer Denker. Manchmal sind sie bereits mitten unter uns, im täglichen Leben, angekommen. Genauer: in der Rheinstraße, in Münchens beliebtem Stadtteil Schwabing. Dort, im Innenhof mit der Hausnummer 14, ist in nur acht Monaten Bauzeit ein Stück Zukunft entstanden, das Wohnen von morgen. Das erste innerstädtische Passivholzhaus Deutschlands – eine Innovation mit Emotion. Holz als Werkstoff kommt mit diesem Projekt der GBW Gruppe zurück in die Stadt – einer der ursprünglichsten Baustoffe findet in einer deutschen Metropole wieder spektakuläre Verwendung.

Betritt man den Innenhof, dominiert ein Gefühl ganz besonders: endlich angekommen. Holz ist als Baustoff nicht nur ausgesprochen vielseitig, flexibel und robust, er begleitet den Mensch seit jeher. So schafft Holz ein tiefes Wohlbefinden, eine im innerstädtischen Planungsbetrieb oft vernachlässigte emotionale Verbindung. Der Mensch will leben, nicht nur wohnen.
Und so ist die Wärme, die das Objekt mit den zehn Wohneinheiten ausstrahlt, allgegenwärtig. Bodentiefe Fenster, zwei Dachterrassen und unbehandeltes Nadelholz harmonieren mit dem Innenhof, als hätte das Gebäude hier schon immer hingehört. Auffällig ist: Die Wohnräume sind konsequent nach Süden orientiert und größtenteils mit Fenstern übers Eck versehen. So werden die Räume von Tageslicht durchflutet und eine passive Wärmegewinnung im Winter ist garantiert.

Die Vorteile vom Werkstoff Holz sind insbesondere im direkten Vergleich mit der klassischen Massivbauweise auffällig. Hölzer aus der Umgebung haben kurze Lieferwege, dämmen von Natur aus und können bei Bedarf leicht ersetzt und wieder dem Kreislauf zurückgeführt werden. „Während Metall oder Zement nur eine Eigenschaft besitzen, ist Holz zug- und druckfähig gleichermaßen – ein unschlagbarer Vorteil“, sagt der Architekt Michael Ziller vom Architekturbüro zillerplus.

Die Holzelemente werden von erfahrenen Zimmerern in Werkshallen vormontiert, Türen und Fenster passgenau eingesetzt, mit Elektrik versehen. Die Teile werden angeliefert und auf der Baustelle zusammengesetzt, ein Anstrich ist nicht nötig. Auch kein Mauern, Zementanrühren und keine Baustoffe, die erst im komplizierten Materialmix ihren Zweck erfüllen und später wieder mit viel Aufwand voneinander getrennt werden müssen. Eine weitere massive Einsparung ist bei der Wärmeenergie auszumachen. Bei allen anderen Baustoffen benötigt man viel Hitze, um sie herzustellen – Stahl muss geschmolzen werden, Ziegel gebrannt. Holz kommt ohne diesen Energieaufwand aus, die Bauzeit verkürzt sich erheblich. Die Belastung für die vorhandenen Anwohner sinkt rapide und das hohe Maß an Passgenauigkeit garantiert einen reibungslosen Aufbau.

Die Grundsubstanz, auch die tragenden Wände, sind aus Fichte und bei der Verkleidung entschied man sich für Tanne aus bayerischen und tiroler Wäldern. Dieses traditionelle Holz ist in den Innenräumen gut an der Decke zu entdecken. Von dort aus verteilt es seine beruhigende Wirkung in alle Räume.

Insgesamt wurden im Innenhof in der Rheinstraße 360 Kubikmeter Holz verwendet. Bis zu ihrer Fällung haben diese Bäume 264 Tonnen CO2 der Atmosphäre entzogen – es ist also nicht nur ein emotionales, sondern auch ein ökologisches Projekt.


Projektdaten

Ort

Neubau eines Passivhauses in Holzbauweise, München-Schwabing

Bauherr

GBW Management GmbH

Fläche

BGF 1.230 m², 10 Wohneinheiten

Fertigstellung

2015

Leistung

LP 1-5, teils 6,8

Projektteam

Johanna Lölhöffel, Sandra Schuster (Projektleitung), Oliver Wagner

Auszeichnungen:

Preis für Baukultur der Metropolregion München 2016, Anerkennung
Nominierung BDA-Preis Bayern 2016
GEPLANT + AUSGEFÜHRT 2015, Sonderpreis für nachhaltiges Bauen
Deutscher Holzbaupreis 2015, engere Wahl
Preis für Qualität im Wohnungsbau 2015, Anerkennung
Ehrenpreis für guten Wohnungsbau 2015

Foto: Hartmut Nägele

Foto: Hartmut Nägele

Vorfertigung und Errichtung Holzbau, Anton Ambros GmbH, Hopferau

Vorfertigung und Errichtung Holzbau, Anton Ambros GmbH, Hopferau

Vorfertigung und Errichtung Holzbau, Anton Ambros GmbH, Hopferau


Sechs Antworten von Michael Ziller

Michael Ziller

Herr Ziller, welche Bedeutung hat Holz?
Es ist ein lebendiges Material, das dem Menschen sehr nah ist. In Form eines Baumes sowieso, aber seit jeher auch als Baustoff für Boote, für Möbel oder eben in der Architektur. Holz ist etwas, dass wir gerne anfassen. Ein Material, dass man auf viele Weisen einsetzen kann. Glatt oder rau. Gerade oder gebogen.

Im direkten Vergleich mit Beton schneidet Holz besser ab. Hat Sie das überrascht?
Nein, ich habe eine Schreinerlehre absolviert und kenne die Stärken dieses Werkstoffs. Und was noch wichtiger ist, Holz hat emotional einen ganz anderen Wert als ein Ziegelstein. Aber Holz ist nicht immer überlegen, es hat auch Grenzen, wenn es beispielsweise um Höhe und Tiefe geht. Für einen Wolkenkratzer oder eine Tiefgarage bleibt vorerst Beton der Werkstoff der Wahl. Aber für mich gilt in der Architektur nicht das entweder oder, sondern das sowohl als auch.

Hätten Sie dieses Gebäude auch so entworfen, wenn die Entscheidung nicht auf Holz als Werkstoff gefallen wäre?
Zum Glück ist die Ideologie vorbei, dass etwas anders aussehen muss, wenn es aus Holz gebaut wird. Ja, ich hätte dieses Haus mit Mauerwerk fast genau so gestaltet.

Was hat Sie an diesem Projekt besonders gereizt?
Die Möglichkeit, urban zu arbeiten. Es ist ja kein Bau auf der grünen Wiese, sondern es ging darum, sich in eine bestehende Situation einzugliedern, etwas zu verbessern. Früher standen in dem Innenhof Autos, nun ist es ein bewohnbarer Raum geworden. Und ich sehe Holz als Werkstoff der Zukunft. Holz ist sicher nicht für jedes Haus geeignet, aber als Teil des Ganzen wird es zukünftig ein größeres Gewicht bekommen.

Es handelt sich bei diesem Projekt um das erste innerstädtische Passivhaus aus Holz in Deutschland. Was ist anders als bei einem klassischen Bau?
Man muss sehr viel akribischer planen, weil viele Elemente in der Werkstatt vorgefertigt werden. Da kann man nicht später noch einmal Beton aufgießen, wenn etwas schief gelaufen ist. Spannend dabei ist: Als wir vor Ort an der Baustelle begonnen haben, lag der Großteil der Arbeit bereits hinter uns, da die Elemente nur noch zusammengesetzt werden mussten. Es ist einfach schön, da man mit vielen Handwerkern zusammenarbeitet. Das sind ja Zimmerer, die etwas von ihrem Fach verstehen.

Für wen ist dieses Haus?
Es ist sicher eine emotionale Entscheidung. Ich bin ja der Meinung, dass zukünftig nicht mehr das Auto oder das Handy ein Statussymbol sind, sondern auch die Art des Wohnens. Dass man in einem Haus leben möchte, das sich vom Standard abhebt. Ein Haus, das weniger Energie verbraucht, aus einem regionalen Werkstoff besteht, der recycelbar ist. Es ist vergleichbar mit der Entwicklung bei Lebensmitteln. Wir haben die Wahl, daher stellt sich doch die Frage: Was ist es mir wert, meiner Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen?