FördeWerkStadt

Wie wollen wir in Zukunft Leben-Wohnen-Arbeiten?
(Wettbewerb 2021)

Der Entwurf eines neuen Quartiers an der Förde ist durch einen humanistischen Ansatz geprägt: Ein nachhaltiges Leben durch Städtebau und Architektur ermöglichen. Es bietet sich hier und heute die große Chance für Kiel, an diesen besonderen Ort ein Beispiel für die europäische Stadt der Zukunft in der Postwachstumsphase zu entwerfen. Wie wollen wir in Zukunft Leben, Wohnen und Arbeiten? Eine Vision mit einer Mobilität der kurzen Wege im Alltag und in der Freizeit, gesundem Wohnen, nachhaltigem Bauen und einem guten, sozialen Miteinander. So entsteht Raum für nachhaltige Innovation durch Ausschöpfung bereits vorhandener Ressourcen.

Heute ist Holtenau Ost ein verlassener Ort, der seinen Charme und seine Atmosphäre aus der Nutzung der letzten 100 Jahre, aus der Natur, welche die Nutzungsspuren wieder vereinnahmt und aus der Nähe zum Wasser erhält.
Morgen kann die Atmosphäre zusätzlich von einem Miteinander der neuen Bewohner und von den Arbeitsplätzen geprägt sein und dadurch auch für ganz Kiel und die Umgebung Attraktivität generieren. Die Stadt ist mehr als die Summe ihrer Häuser: Lasst uns in diesem Sinne um diesen besonderen Ort kümmern. Die FördeWerkStadt bekommt ihre Attraktivität durch die Deutung des Zwischenraumes zwischen den Häusern und der Natur. Dieser ist nicht klar gefasst wie in der gewachsenen mitteleuropäischen Stadt, sondern durchlässig und offen für die Aneignung der Nutzer und kann sich mit wechselndem Gebrauch entwickeln. Das Prinzip wird sowohl zwischen den Gebäuden als auch im Naturraum des Waldes angewendet.

Strategie
Die Stadt von morgen respektiert das Vorgefundene und knüpft an den baulichen Bestand und die Natur an. Für die Entwicklung bieten sich vornehmlich die bereits versiegelten und die nicht naturnahen freien Flächen an. Die neue Bebauung stellt immer einen Bezug zwischen der natürlichen Hangkante und der Förde her und lässt über ihren Zwischenraum Bezüge offen. So entsteht eine prägnante Silhouette im Gebiet und auch von der Förde aus. Durch die Nutzungsmischung werden die Zwischenräume unterschiedlich geprägt, die entstehende Vielfalt stärkt die Attraktivität des neuen Quartiers. Die Räume sind universell angelegt – eine zu große Spezialisierung und Unterscheidung verschiedener Raumkategorien würden die Nutzungsvielfalt einschränken.

 

Wegegeflecht
Darum kümmern wir uns: Eine erlebnisreiche Promenade am Wasser, eine übergeordnete Radwegeverbindung, eine autoarme Erschließung im Quartier, die auf öffentlichen Verkehr setzt, eine behutsame Erschließung des Naturraumes und vor allem ein bewusstes Regelwerk für die Zwischenräume. Die Wege dienen der kleinräumigen Verbindung der Zwischenräume. Der Parkraum für ein autoarmes Quartier ist an den Rändern in vier Parkhäusern mit ca. 250 m Radius angeordnet. Diese sind im Erdgeschoss mit Nutzungen belegt, die Verbindung zum attraktiven Freiraum aufnehmen. Das hierarchielose Wegesystem gleicht dem Geflecht eines Mycel. So entsteht das Bild eines sozialen Raumes, der ähnlich der Allmende von allen geteilt wird und den direkten Zugang zu den Elementen Wasser und Natur ermöglicht. Das Geflecht im Zusammenhang mit dem städtebaulichen Entwurf begreifen wir als Medium der Reflexion um die Zukunft der Stadt und des Gemeinwesens aus den unterschiedlichen Perspektiven soziokulturell, ökonomisch, raumplanerisch und ästhetisch. Hierbei möchten wir als Bild des Quartiers Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Versorgung und vor allem auch Bildung und Integration in eine geflechtartige Beziehung setzen und mit einem Regelwerk zu einer dauerhaften Diskussion und Verhandlung unter den Benutzern anregen. Der physische Begriff der Allmende wird in letzter Zeit auch für den geistigen Besitz und auf das Teilen von Wissen verwendet. So sehen wir den Bereich des Gewerbes ganz im Sinne der Kieler Tradition der Hochschulen und der Bildung im Zeitalter der Digitalisierung. Das Wege-Mycel im Zusammenhang mit der Allmende ist bildhaft als Netzwerk von Menschen und einem gemeinsamen Diskurs zu verstehen, in dem jeder im Alltag seine Expertise einbringen oder Expertise erlangen kann.

Freiraum & Ökologie
Der Grundgedanke für die freiraumplanerische Konzeption ist es, zum einen den über 200 Jahre alten Baumbestand, sowie die besondere Lage an der Kieler Förde zu nutzen und unter sozialen sowie ökologischen Aspekten zu fördern. Diese beiden Naturräume  bieten einen landschaftlichen Rahmen, in den sich die gebauten Strukturen harmonisch einfügen. Eine heterogene Aufforstung mit klimaresilienten Arten geht auf das Programm Neuwaldbildung in Schleswig-Holstein des Landes ein. Es entsteht ein zukunftsorientierter Wald gegen den Klimawandel. Durch ein der topographischen Situation folgendes Stegenetz wird der Wald erlebbar gemacht. Die historische Schießanlage wird zu einer ökologischen Vorrangfläche ausgebaut. Der Lebensraum für die bestehende Fauna bleibt erhalten. Durch Wege und eine Brücke kann die Naturbeobachtung erfolgen. An mehreren Stellen ergeben sich Blickbeziehungen zur Kieler Förde. Behutsam wird auch mit den bestehenden Biotopen umgegangen und diese werden in Szene gesetzt. Das Thema des Steges wird auch hier genutzt. Die Nähe zum Wasser spürt man vor allem an der großzügigen Promenade, an der die bestehende Hafenstruktur zu einem Hafenbad umgenutzt wird.

 

Nutzungen und Mobilität
Der neue Stadtteil ist für eine zukunftsorientierte Nutzungsvielfalt angelegt. Vom Süden kommend prägt die Wohnnutzung, hier entsteht beim ehemaligen Tonnenhof und Hafen auch eine intensive Nutzung des Wassers für alle Kieler. Im nördlichen Bereich der angrenzenden Halbinsel kommt entlang des Hafenplatzes eine intensive gewerbliche Nutzung – vor allem für die Deckung des täglichen Bedarfs – hinzu. Diese Nutzungen entstehen eher zeitnah, das nördliche Gewerbegebiet unterhalb des Flughafens ist eher flexibel auf langfristiges Wachstum angelegt. Die Strukturen auf den Baufeldern können verschiedenste Bautiefen und Bautypen aufnehmen. Gewerbe bedeutet für uns hier insbesondere Bildung, Hochschule/Wissenschaft, Verwaltung/Entwicklung und hochwertige Produktion zur Stärkung des neuen gemischten Quartiers und Kiels mit kurzen Wegen. Gerade die Nutzungsvielfalt macht das Quartier „FördeWerkStadt“ so attraktiv und einzigartig. In das Quartier ist das Erlebnis der Natur von der Hangkante bis hinunter zum Wasser einbezogen. Im Norden bildet die Nachnutzung des British Kiel Yacht Club ein passendes Verbindungsstück zu den folgenden Stadtteilen entlang der Förde bis Schilksee. So entfaltet sich Kiel nahtlos entlang der Förde. Die Fuge am NordOstsee Kanal sollte mit entwickelt werden, um die Trennwirkung aufzulösen.

 

Energie, Soziales und Bauen
Die Energie wird lokal über Wind und Sonne an den Gebäuden erzeugt. So sind alle Dächer entweder auf Energiegewinnung oder den Anbau von Nahrung ausgerichtet. Die soziale Energie findet im Erdgeschoss und dem öffentlichen Raum statt: Auf ein bewusstes Zusammenspiel zwischen Erdgeschoss und den angrenzenden Stadträumen wird bei jedem Gebäude Wert gelegt. Beim Bau und Betrieb der späteren Gebäude ist das zirkuläre Bauen der Kreislaufwirtschaft Grundlage des Entwerfens und Konstruierens. Cradle to Cradle führt zur Wertschätzung des Bestandes, zur Verwendung von energiearmen Baustoffen und zu lösbaren Verbindungen. Weiterhin werden die bestehenden Bunker mit Redoxbatterien ausgestattet. So kann die im Quartier produzierte Energie zwischengespeichert und zeitverzögert nutzbar gemacht werden. Auch landschaftsplanerische Maßnahmen wie die Pflanzung von Kurzumtriebsplantagen mit einem angeschlossenen Energiezentrum im Gebiet fördert eine quartiersinterne Energieversorgung. An dem geplanten Waldlabor wird zukünftig an innovativen Konzepten in diesem Bereich geforscht. Die Entwicklung und Implementierung neuer Technologien der Energiewirtschaft und Bauwirtschaft könnte ein Thema des Gewerbegebietes sein, um die Energiewende und die Bauwende zu unterstützen. Dabei eine neue Ästhetik der Architektur und des Raumes zu entwickeln und darüber dem Quartier eine Identität zu geben, ist unsere Vision einer nachhaltigen Schönheit, in der sich die Menschen entfalten. So manifestiert sich die Wertschätzung für die Umwelt, in der dauerhafte und somit nachhaltige Architektur entsteht.


Ort

Kiel Holtenau Ost

mit mahl·gebhard·konzepte Landschaftsarchitekten BDLA Stadtplaner Partnerschaftsgesellschaft mbB

Bauherr

Landeshauptstadt Kiel

Fläche

350.000 m²

Wettbewerb

Städtebaulich - freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb

Wettbewerbsteam

Benjamin Becker, Maria Kremsreiter, Johanna Lölhöffel, Sophia Quanz, Anton Scherer